Sie war die erste Frau Adams. Nach einem Streit mit ihm verließ sie das Paradies und weigerte sich, zurückzukehren. Dafür wurde sie von Gott verflucht. Auf dem Bild von Michelangelo in der Sixtinische Kapelle in Rom ist Lilit als Schlange zu sehen, die Eva den Apfel reicht.
Ein Mann, zwei Frauen
In der Genesis, dem ersten Buch des jüdischen Tanach und der christlichen Bibel, wird die Frau gleich zweimal erschaffen:
„Gott schuf also den Menschen als sein Abbild; als Abbild Gottes schuf er ihn. Als Mann und Frau schuf er sie“, heißt es dort.
Danach wird die Geschichte noch einmal präzisiert: „Da formte Gott, der Herr, den Menschen aus Erde vom Ackerboden und blies in seine Nase den Lebensatem. So wurde der Mensch zu einem lebendigen Wesen.“ Das war Adam. Gott befand, dass er nicht allein sein sollte, und schuf für ihn, neben allerlei Getier, auch eine Frau. Er ließ Adam in tiefen Schlaf fallen, nahm ihm eine Rippe und machte daraus Eva.
Das Alphabet des Ben Sira
So weit, so gut. Was aber geschah mit der Frau, die zuerst erwähnt wurde, anscheinend gleichberechtigt mit ihm? Der jüdische Gelehrte Ben Sira liefert um 900 nach unserer Zeitrechnung eine Erklärung. Er zeichnet dabei eine der vielen Legenden auf, die sich um die biblischen Geschichten rankten. Ben Sira schreibt:
„Als Gott Adam erschuf, war er allein. Er sagte: ‚Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei‘. Er schuf auch eine Frau, aus der Erde, wie Er Adam selbst erschaffen hatte, und nannte sie Lilith. Adam und Lilith begannen sofort zu streiten. Sie sagte: ‚Ich will nicht unten liegen‘, und er sagte: ‚Ich will nicht unter dir liegen, sondern nur oben. Denn du bist nur dazu geeignet, unten zu liegen, während ich der Obere sein soll.‘
Lilith erwiderte: ‚Wir sind einander gleich, da wir beide aus der Erde geschaffen wurden.‘ Aber sie wollten einander nicht zuhören. Als Lilith dies sah, sprach sie den unaussprechlichen Namen aus und flog in die Lüfte davon.“
Adam beschwert sich daraufhin bei seinem Schöpfer. Der schickt drei Engel hinter Lilit her, um sie zurück zu holen. Doch sie weigert sich. Dafür wird sie zur Dämonin und verflucht: Jeden Tag sollten hundert ihrer Dämonenkinder sterben; sie selbst wurde zur Bedrohung neu geborener Kinder und allein schlafender Männer.
Lilit und das Nachtgespenst
Namentlich wird Lilit erst viel später in der Bibel genannt, beim Propheten Jesaia. Und da zählt sie auch mehr zum Personal in einer Szenerie, die abtrünnige Gläubige und Heiden in Angst und Schrecken versetzen soll – insbesondere die Edomiten, die dem Volk Israel feindlich gesonnen waren.
„Denn es kommt der Tag der Rache des Herrn und das Jahr der Vergeltung, um Zion zu rächen“, heißt es dort. „Dann werden Edoms Bäche zu Pech werden und seine Erde zu Schwefel.“ Allerlei Getier wird dort wohnen, darunter Rohrdommeln und Igel, Eulen und Raben. „Der Kobold wird auch daselbs herbergen“, übersetzt Martin Luther die entsprechende Stelle. In einer späteren Überarbeitung heißt der Kobold dann „Nachtgespenst“, doch im ursprünglichen Text ist es Lilit, von der hier die Rede ist.
Windgeister und Dämonen
Neben der durch Ben Sira überlieferten Legende gibt es zahlreiche weitere Lilit-Überlieferungen. Sie wird in Verbindung gebracht mit mesopotamischen Windgeistern, die sich in Ruinen herumtreiben (den Lilitu, die sowohl männlich als auch weiblich kein konnten), mit der sumerischen Göttin Ischtar, der syrischen Astarte oder der griechischen Lamia – alles kraftvolle Verkörperungen des weiblichen Prinzips mit seinen Licht- wie Schattenseiten.
Johann Wolfgang von Goethe lässt sie in seiner Schilderung der Walpurgisnacht im Faust zusammen mit anderen Hexen auftreten, und der englische Maler Dante Gabriel Rossetti malt ein Bild seiner früh verstorbenen Frau, dem er den Titel „Lady Lilith“ gibt.
Eine emanzipierte Frau
In der feministischen Literatur gilt Lilit als Verkörperung des weiblichen Prinzips und das Urbild einer emanzipierten Frau: Im Gegensatz zu Eva ist sie nicht bereit sich Adam unterzuordnen.
Quellen
Marianne Wallach-Faller, Für eine Versöhnung mit Lilit
Artikel „Lilith“ auf www.bibelwissenschaft.de
Abbildung: Michelangelo Buonarotti, Die Vertreibung aus dem Paradies (Sixtinische Kapelle, Rom). Wikimedia