Das Lipperland, dem meine Großeltern entstammen, liegt größtenteils zwischen Wesergebirge und Teutoburger Wald. Der Wind bläst die Regenwolken über die Norddeutsche Tiefebene bis an die Hänge des Wesergebirges, wo sie aufsteigen und dabei abregnen. Es ist ein feuchter, von vielen größeren und kleineren Gewässern durchzogener Landstrich.
Wenn wir als Kinder zum Spielen nach draußen gingen, trugen wir nie anderes Schuhwerk als Gummistiefel. Die aber auch nichts halfen, wenn die Pfützen oder Rinnsale zu tief waren, in die wir hineinstiegen: Dann hatten wir „einen Nassen“ und trugen unsere eigenen kleinen Pfützen in den Stiefeln nach Hause.
Die Externsteine
Sie sind eine beeindruckende Felsformation und waren Vorbilder für meinen „Schwarzen Felsen“ am Hegentruper Mühlteich.
Die Externsteine waren ein beliebtes Ausflugsziel für uns, und Anlass für Spekulationen. Kleinen Türmen gleich erheben sie sich 40 Meter über den umgebenden Boden. Man kann über eine in den Fels geschlagene Treppe hinaufklettern; zwei von ihnen sind durch eine schmale, geschwungene Brücke verbunden – Wer traut sich, dort hinüberzugehen?
Ganz oben im Turmfels, den man nur über diese Brücke erreicht, ist eine kleine Kammer in den Stein geschlagen. Durch ein rundes Fenster fallen zur Sommersonnwende die Strahlen der aufgehenden Sonne dort hinein.
Spannender aber noch ist der Grottenfels mit seinen drei in den Stein gehauenen Höhlen, die, seit ich mich erinnern kann, leider mit einem soliden Eisengitter verschlossen sind. Neben den Felsen fließt ein Bach, die Wiembeke; Mitte des 19. Jahrhunderts wurde er zu einem Teich aufgestaut.
Ein germanisches Heiligtum?
Nicht nur meine Fantasie wurde von diesem erstaunlichen, von Menschenhand bearbeiteten Naturphänomen angeregt: Bereits der lutherische Historiker und Theologe Hermann Hamelmann deutete sie 1564 als germanisches Heiligtum. Das wurde in der Zeit des Nationalsozialismus gerne aufgenommen, allen voran von dem Laienforscher Wilhelm Teudt, der ein Vorbild für den Lehrer Heinrich Mügge in meinem Buch ist. Teudt war überzeugt, die Externsteine seien der Standort der sächsischen Irmensul gewesen, einem frühmittelalterlichen Heiligtum, das Karl der Große zerstören ließ.
Heute werden vor allem die Walpurgisnacht und die Sommersonnwende von spirituell bewegten Menschen an den Externsteinen gefeiert.
Lippe-Detmold
Mein Großeltern wuchsen noch im Fürstentum Lippe auf, das bis 1918 von der Fürsten zur Lippe regiert wurde. Diese Fürsten hatten sich dem industriellen Fortschritt gegenüber als wenig aufgeschlossen gezeigt; erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts kam die Eisenbahn in das zurückgebliebene Land. Die Armut war entsprechend groß. Viele Männer, darunter auch mein Urgroßvater, gingen im Sommer auf Wanderschaft und verdingten sich als Ziegler. Frauen und Kinder blieben zurück und bestellten das Land.
Nach der Revolution von 1918 wurde Lippe ein demokratischer Freistaat. Schon früh allerdings nutzten die Nationalsozialisten das vermeintliche „germanische Kernland“ für ihre Zwecke – hatte hier nicht, möglicherweise, die Irmensul gestanden? Mit großen Aufmärschen und intensiver politischer Agitation beeindruckten sie die Bürger und hatten entsprechende Wahlerfolge. 1947 wurde das Land nach Nordrhein-Westfalen eingegliedert, die Lippische Rose ist seitdem Bestandteil des Wappens dieses Bundeslandes.
Aufbruch in die Moderne
Meine Großeltern verließen ihre lippische Heimat nach ihrer Hochzeit 1927, um in der Metropole Bielefeld zu leben: Mein Großvater als Zimmermeister, meine Großmutter als Hausfrau und Mutter von vier Kindern. Sie legten ihre Niederdeutsche Muttersprache, das lippische Platt vollständig ab und integrierten sich in die bürgerliche Gesellschaft der Großstadt.
Gustav und Alwine in meiner Geschichte kommen nicht ganz so weit: Zwar verlassen sie das abgelegene Nixental, finden dann aber in der nahegelegenen Kleinstadt eine neue Existenz.
