Es war einer der heißesten Tage des Sommers gewesen. Die Luft stand über der Rheinebene, die Fensterläden waren geschlossen. Wie immer hing ein Geruch nach Chemikalien und Kaffee in ihrem Zimmer, wenn auch nicht in der Intensität früherer Zeiten. Auf dem großen Tisch stand eine komplizierte Anordnung von Kolben, Glasgefäßen, Röhren, Thermometern und Trichtern, im Regal die Flaschen und Gefäße, in denen sie ihre Zutaten aufbewahrte. Der Stuhl auf dem kleinen Schreibtisch am Fenster war zurückgeschoben, als habe die Bewohnerin des Zimmers sich gerade erhoben um sich für einen kurzen Moment auf der Chaiselongue auszuruhen.
Christiane Wachsmann, Lilits Töchter, Kapitel 3
Das Leben der Fanny Luise Rotmund
Fanny Luise Rotmund wird 1815 in der nassauischen Kleinstadt Tessen geboren. Ihre Mutter Gertrude (1786-1853) ist die Tochter des Schwanen-Apothekers Apothekerstochter. Sie war das einzige Kind ihrer Eltern und heiratete einen Friedrich Rotmund (1787-1858), der als Apothekergehilfe nach Tessen gekommen war und die Apotheke von seinem Schwiegervater übernahm. Fanny Rotmunds jüngerer Bruder Georg Ferdinand wird nach dem Tod des Vaters sein Nachfolger.
Fanny interessiert sich früh für die Arbeit ihres Vaters und darf ihm im Labor assistieren. Mit 12 Jahren beginnt sie außerdem, regelmäßig ihren Großonkel Lucien Hemer aufzusuchen, einen verschrobenen Kerl, der im Alchemistenturm an der oberen Stadtmauer ein Labor betreibt und dort alchemistische Experimente macht. Dort trifft sie auch den sieben Jahre ältern Adam Alexander Klimmisch, den Sohn des örtlichen Textilfabrikanten. Nachdem Adam zum Studieren nach Göttingen gegangen ist, kann Fanny durchsetzten, dass sie sich in ihrem Elternhaus ein Labor einrichten und dort experimentieren kann.
Heirat und Flucht
Mit 21 Jahren (1836) heiratet Fanny Rotmund Robert Marl, einen Cousin von Adam, der in der Firma Klimmisch & Co. in die Geschäftsleitung eingetreten ist und seit dem Tod des Firmengründers Eugen Klimmisch 1833 die Firma leitet. Fanny forscht in dieser Zeit an der Synthese von Farbstoffen. Als sie schwanger wird, verbietet ihr Mann ihr diese Arbeit, und hält dieses Verbot auch aufrecht, nachdem sie 1837 Zwillings-Jungen geboren hat.
Ein Jahr später besucht Fanny Adam in Paris. Adam hat sich dort ein eigenes Laboratorium eingerichtet, das sie begeistert nutzt. Er nimmt sie ins Café Procope und nach Versailles mit, wo man inzwischen ein Museum eingerichtet hat. Außerdem macht er sie mit einigen Chemikern bekannt. Seitdem ist Paris für sie ein Sehnsuchtsort. Ihre Verbindung zu Adam intensiviert sich, als er kurz darauf zurück nach Tessen kommt und sich für zwei Jahre im Alchemistenturm niederlässt.
1842 fährt Fanny von Baden-Baden aus, wo sie angeblich eine Kur macht, erneut nach Paris. Dort lernt sie Richard Hervé kennen, den Sohn eines Elsässer Fabrikanten, der dort Chemie studiert. In dieser Zeit kommen die Zwillinge bei dem Absturz eines Heißluftballons in den Flusswiesen in Tessen ums Leben. Als Fanny zurückkehrt, sind sie bereits begraben. Ihr Mann findet heraus, dass sie in Paris war, und sie haben einen handfesten Ehekrach. Nach der Versöhnung wird Fanny ein weiteres Mal schwanger und bringt 1843 ihre Tochter Selène Lilit Sophie zur Welt. Robert verweigert ihr weiterhin den Zutritt zum Labor. Schließlich reist sie mit Lele zusammen ein weiteres Mal nach Paris.
Dort kommt sie zunächst wieder bei Adam unter. Sie trifft sich regelmäßig mit Hervé, der ein eigenes Labor hat und sie dort arbeiten lässt. Ihre Eltern schicken ihr Geld, manchmal verdient sie auch was als chemische Assitentin. Sie zerstreitet sich mit Adam und zieht in eine recht elende Unterkunft.
1845 fährt ihr Vater Friedrich Rothmund nach Paris und holt die zweijährige Lele zurück nach Tessen. Ihr Aufenthalt bei den Großeltern ist zuerst provisorisch gedacht. Fanny hat derweil gemeinsam mit Richard Hervé die ersten Erfolge als Coloristin.
Straßburg
Inzwischen lebt Robert Marl ganz offen mit seiner Haushälterin Anneliese zusammen. Als sie schwanger wird, verlangt er von Fanny die Scheidung. Sie verlangt eine Abfindung und lässt sich darauf ein.
Sie selbst verbindet eine intensive Liebesbeziehung mit Jean Baptiste, Baron von Flachslandt. Sie hat ihn, seine verstorbene Frau sowie seine Schwester Cléophée bereits in Paris kennengelernt. Nun geht sie mit ihm nach Straßburg, wo sie im heruntergekommenen Stadtpavillon der Familie wohnen. Sie arbeitet weiterhin und sehr erfolgreich für Richard Hervé, der inzwischen die väterliche Farbenfabrik übernommen hat.
1851 kehrt Fanny Rotmund ein letztes Mal nach Tessen zurück in der Absicht, ihre Tochter mitzunehmen. Doch die achtjährige Lele verweigert sich; sie will bei den Großeltern bleiben. Fanny fährt unverrichteter Dinge zurück.
1853 stirbt Fannys Mutter, 1855 ihr Vater. Die zwölfjährige Lele wird in die inzwischen stark angewachsene Familie ihres Vater aufgenommen.
QUellen
Vorlage für das Bild von Fanny Rotmund ist das unvollendete Portrait der Madame Marie Louise Trudaine, das der Maler von Helden- und Schlachtenepen, Jacques-Louis David 1791-1792 malte. Die Trudaines unterhielten einen künstlerisch-literarischen Salon an der Place des Vosges, den auch David besuchte. Das Bild hängt im Louvre.