Fanny Rotmunds Indigo

Geräte für eine Destillation im 19. Jahrhundert (Aquarell, Christiane Wachsmann)

„Künstliches Indigo“, las Adam. „Anilin, Chloressigsäure, Kaliumhydroxid.“ Das also war Fanny Rotmunds berühmtes Rezept?

Christiane Wachsmann, Lilits Töchter, Kapitel 17

Während die Herren Chemiker im Laufe des 19. Jahrhunderts mithilfe von Publikationen, auf Kongressen, in Hochschulen und Firmen sich austauschten und ihre Netzwerke knüpften, gab es für Frauen keine Möglichkeit der Teilhabe am Wissenschaftsbetrieb: Weder durften sie ihre eigenen Erfahrungen einbringen, noch von der Forschergemeinschaft profitieren.

Dennoch gab es naturwissenschaftlich interessierte Frauen. Fanny Rotmund ist eine erfundene Figur. Ihr Lebenslauf in dieser Zeit ist ungewöhnlich, aber nicht unmöglich. Als Apothekerstochter hatte sie die Chance, sich mit Chemie zu beschäftigen und, nachdem ihr Interesse erst einmal geweckt war, sich auch fortzubilden: Immerhin gab es Fachzeitschriften wie die Annalen der Chemie, zu deren Leserinnen auch ihre Tochter Lele gehört. Auch Fanny Rotmunds Vater förderte sie, und zumindest in der ersten Phase ihrer Ehe mit dem Stoff- und Farbfabrikanten Robert Marl hatte sie Gelegenheit, sich auf dem Gebiet der Farbchemie weiterzuentwickeln und ihr Können zu beweisen.

Das alles war natürlich Fannys Schuld. Schon als junges Ding hatte sie damit begonnen, im Apotheken-Labor herumzuwerkeln und dabei ihre Leidenschaft für die Farben entdeckt. Roberts Hoffnung, Ehe und Mutterschaft könnten sie davon kurieren, hatte sich nicht erfüllt, im Gegenteil: Sie war immer besessener von diesem Thema gewesen.

Christiane Wachsmann, Lilits Töchter, Kapitel 6

Fanny ist nicht bereit, sich den Vorstellungen ihres Ehemannes zu fügen. Als er weiterhin darauf besteht, dass sie sich ihren Pflichten als Mutter und Ehefrau zu widmen und die Laborarbeit aufzugeben habe, tut sie es der biblischen Lilit gleich und verlässt ihren Mann. Sie geht nach Paris um dort zu leben und zu forschen. Später zieht sie nach Straßburg, wo sie erfolgreich für den Farbfabrikaten Richard Hervé arbeitet.

Das Indigo-Rezept, das sie in diesem Roman verwendet, orientiert sich an der ersten Heumann-Synthese, einer Variante für die Herstellung von künstlichem Indigo, die 1890 entwickelt wurde. Sie benötigte allerdings sehr hohe Temperaturen und brachte nur eine geringe Ausbeute: Für eine Herstellung großer Mengen war sie nicht geeignet. Erst einige Jahre später entwickelte Heumann ein weiteres Verfahren, das es der BASF von 1897 an erlaubte, künstliches Indigo großtechnisch herzustellen. Dabei spielte ein „glücklicher Zufall mit einem zerbrochenen Thermometer“ eine Rolle: Ein Motiv, das ich in abgewandelter Form in meinem Roman aufnehme.


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